Brückenbauer von Herz zu Herz
Einblicke in über fünf Jahre Engagement im Irak
Konstantin Mascher, Vorsitzender der ojcos-stiftung, im Gespräch mit David Müller, Politischer Fürsprecher für Religionsfreiheit im Irak
David, du bist als Fürsprecher für Religionsfreiheit im Irak und in Deutschland aktiv. Wie geht es dir in dieser Rolle und Tätigkeit?
Im Laufe meines beruflichen Lebens hatte ich schon viele spannende Aufgaben. Die letzten fünf Berufsjahre gehören zu den aufregendsten und gesellschaftlich prominentesten meines Lebens. Außerdem waren die Anforderungen an mich noch nie so nahe an meinem persönlichen Profil und meiner Berufung.
Du hast ja unglaublich viel erlebt. Was sind die wichtigsten Meilensteine deiner Tätigkeit?
Da gibt es eine ganze Menge. Hier eine zufällige Auswahl:
- Die Vermittlung eines irakischen Partners als Sprecher bei einem Kongress im Deutschen Bundestag 2018. Das war unser erster größerer politischer Erfolg. Inzwischen haben wir bereits die dritte eigene Veranstaltung mit einer irakischen Delegation und deutschen Parlamentarierinnen und Parlamentariern im Deutschen Bundestag durchgeführt.
- Die Einladung zur einer Gastvorlesung an der islamwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bagdad zum Thema Religionsfreiheit.
- Meine Teilnahme an der Delegation des Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit Frank Schwabe MdB bei seiner Irak-Reise.
Durch dein Engagement ist die ojcos-stiftung inzwischen gut vernetzt. Kannst du ein paar Beispiele nennen?
Wir arbeiten eng und vertrauensvoll zusammen mit Bundestagsabgeordneten verschiedener Parteien und deren Büros sowie mit politischen Entscheidern im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und im Auswärtigen Amt.
Im Irak sind wir freundschaftlich und eng verbunden mit Führern aus verschiedenen Religionsgemeinschaften, Stammesführern, Politikern in Regierung und Parlament, Wissenschaftlern und Aktivisten.
Durch deine vielen Reisen und Begegnungen hast du richtige Expertise entwickelt. Welche Gremien berätst du?
Neben vielen persönlichen Beziehungen in die Politik ist die ojcos-stiftung u. a. Mitglied in der internationalen Netzwerkorganisation PaRD (International Partnership on Religion and Sustainable Development) mit 162 Mitgliedern aus 8 Religionen. Davon sind 127 Organisationen religiös geprägt, 8 Regierungsorganisationen, 6 multilaterale und 10 akademische Einrichtungen (Stand: Juni 2023).
Ziel ist es, das soziale Kapital und die Kapazitäten verschiedener Glaubensgemeinschaften für nachhaltige Entwicklung und humanitäre Hilfe durch stärkere institutionelle Kommunikation und Koordination zu fördern.
Wir sind auch im Thementeam „Religion und Entwicklung“ des BMZ. Darin sind unterschiedliche Religionsgemeinschaften, Nichtregierungs- und glaubensbasierte Organisationen, Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit und die Wissenschaft vertreten. Das Thementeam gibt wechselseitig Impulse für die inhaltliche und strategische Arbeit der Mitglieder und trägt die Debatte um Religion und Entwicklung in die Politik und Gesellschaft.
Außerdem berate ich unterschiedliche Organisationen wie den Ökumenischen Rat Berlin-Brandenburg, die Evangelische Allianz in Deutschland, den Zentralrat der Êzîden in Deutschland, das weltweite Konvertitennetzwerk „Communio Messianica“ und bin im Beirat des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland.
Unser Anliegen ist: Hinzufügen, was fehlt. Es gibt so viele Hilfsorganisationen, die in dem Land viel Gutes bewirken. Warum braucht es diese politische Ebene? Was ist das Einzigartige an deiner Arbeit?
In den letzten Jahren sind aus deutschen Steuer- und kirchlichen Spendengeldern mehrere Milliarden Euro in den Irak geflossen. Das ist gut so. Allerdings ging dieses Geld fast überwiegend in Katastrophen- und Aufbauhilfe. Solche Maßnahmen sichern das kurzfristige Überleben, ändern aber nicht die grundsätzliche Situation des Zusammenlebens und tragen auch wenig zu einer Lebensperspektive in Frieden und Sicherheit bei.
Hier bringen wir uns intensiv ein. Wir treffen unterschiedlichste Menschen, begegnen ihnen mit Liebe und Interesse und versuchen, die Komplexität der Geschehnisse zu verstehen. Dadurch werden wir zu Brückenbauern und von allen Seiten geschätzten Akteuren, die den Gedanken des Miteinanders leben, einfordern und in kleinen Schritten durchführen.
In Deutschland sind diese Gesprächspartner und Themen im politischen Geschehen nur wenigen bekannt, stoßen aber auf großes Interesse. Es gibt leider einen zu großen Schwerpunkt auf Infrastrukturprojekten und zu wenig Engagement im Bereich Versöhnung, Friedensbildung, Miteinander.
Unsere Vision ist, Brücken zu bauen zwischen dem Irak und Deutschland. Wie sieht das konkret aus?
Dies geschieht in drei Bereichen.
Im persönlichen Gespräch berichte ich politischen Entscheidern von meinen Erlebnissen und gebe eine aktuelle Einschätzung zur Situation im Irak. Oft sind es Hintergrundinformationen, die Zusammenhänge einordnen und für unsere westliche Denkweise verstehbar machen. Unser Newsletter mit kompetenten Veröffentlichungen aus unserem internationalen Netzwerk gibt fundierte Einblicke.
Gemeinsam mit dem Zentralrat der Êzîden in Deutschland haben wir nun das dritte Jahr in Folge eine Delegation aus dem Irak nach Deutschland eingeladen und eine vertrauliche Hintergrundveranstaltung für Bundestagsabgeordnete (Round Table) durchgeführt. Außerdem haben wir ihnen Gespräche in relevanten Ministerien ermöglicht. Regelmäßig vernetze ich auch politische Akteure mit irakischen Partnern aus unserem Netzwerk.
Zuletzt kommuniziere ich dies regelmäßig mit unseren irakischen Freunden. Das Wissen um diese Aktivitäten und das Interesse an ihrer Situation ist für sie sehr wichtig und ist Hoffnung und Ermutigung in ihrer Lage.
Was ist für dich an unserem Motto „Wir investieren in Beziehungen“ wesentlich?
Die unterschiedlichen Gruppen im Irak haben in den letzten Jahrhunderten auf verschiedene Weise Vertreibung, Gewalt, Terror bis hin zum Genozid erlebt. Spätestens mit dem Auftreten des sogenannten „Islamischen Staates“ wurde die religiöse Diversität der Region und das Vertrauen untereinander schwer beschädigt. Ohne Wiederherstellung von Beziehungen ist kein gemeinsames Leben, keine Politik, keine wirtschaftliche Aktivität und letztlich auch kein interreligiöses Miteinander möglich.
Aber auch in der deutschen Politik gilt: „Große Türen drehen sich in kleinen Angeln“. Es gibt eine Vielzahl wissenschaftlicher Erkenntnisse, die oft kompliziert und manchmal auch widersprüchlich sind. Eine vertrauensvolle Beziehung, in der man ehrlich nachfragen kann und sich nicht ausgenutzt oder instrumentalisiert weiß, ist (nicht nur) für politische Entscheider ein großer Schatz.
Du fliegst drei- bis viermal jährlich in den Irak. Warum ist das unerlässlich?
In der orientalischen Kultur bedeutet es eine große Wertschätzung, wenn man Zeit miteinander verbringt. Am besten beim Essen.
Meine Reisen in den Irak sind ein Hoffnungszeichen für die Menschen dort. Sie fühlen sich nicht nur ohne Perspektive, sondern auch vom Rest der Welt vergessen. Uns wird immer wieder vermittelt, dass wir eine große Vertrauenswürdigkeit und Wertschätzung genießen, weil wir a) regelmäßig das Land besuchen und b) in einer Haltung des Zuhörens und der Partnerschaftlichkeit unterwegs sind.
Wie hat sich deine Beratungstätigkeit hier in Deutschland dadurch verändert?
Die Lage im Irak verändert sich regelmäßig. Verschiedene Akteure im Land ringen um die Vorherrschaft. Dazu kommen die internationalen Akteure wie USA, Iran und Türkei, deren Interessen konkrete Auswirkungen auf die Situation im Irak haben.
Es gibt keine unabhängige Presse im Irak und nahezu keine deutschen Korrespondenten dort. Die Nachrichtenlage in Deutschland ist deshalb sehr unklar und oberflächlich. Meine regelmäßigen Besuche im Irak geben mir Einblick in die Alltagsrealität. Da ich keinen Sicherheitsauflagen, wie z. B. Parlamentarier oder Mitarbeiter von großen Hilfsorganisationen unterliege, bin ich einer der wenigen Deutschen, die in Bagdad in ein Taxi steigen, mit Freunden über den Basar laufen oder die Innenstadt von Mossul besuchen können.
Die vertrauensvollen Beziehungen zu kompetenten Akteuren im Irak geben mir ein immer besseres Verständnis von den komplexen Zusammenhängen. Für kluge Entscheidungen in Deutschland ist es so wichtig zu verstehen, warum was passiert und wer welche Rolle dabei hat.
Du bist ein vernetzter und unglaublich engagierter Mensch. Als gebürtiger Franke bewegst du dich selbstverständlich im abgelegenen irakischen Dorf und zugleich im Bundestag und öffnest die Herzen auf beiden Seiten. Wie bleibst du innerlich beweglich?
Als gläubiger Christ bin ich tief davon überzeugt, dass Gott alle Menschen liebt, sie eine Würde und ein Herz mit Träumen und Emotionen haben. Aufgrund meiner Persönlichkeit und positiven Lebensprägungen begegne ich dem Nächsten geradezu reflexhaft auf einer Herzensebene. Ich möchte Menschen vernetzen und für eine Sache gewinnen.
Der Irak ist nicht gerade sicher. Wie geht es dir und deiner Familie damit?
Einerseits haben meine Frau und ich großes Gottvertrauen und lieben es, wenn das Leben aus der gewohnten Bahn ausbricht. Andererseits weiß ich im Irak um einflussreiche Freunde, die für mich Tag und Nacht erreichbar sind und sich für meine Sicherheit verantwortlich fühlen. Ich treffe beispielsweise neue Kontakte erst, wenn ich mich bei Freunden über deren Hintergrund vergewissert habe.
Lieber David, vielen Dank für das Interview und die wertvollen Einblicke.
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