Menschenrecht Religionsfreiheit

Mythen und Missverständnisse

Von Prof. Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeldt

Weltweit gehören mehr als 80 % der Bevölkerung einer Religionsgruppe an. Die Tendenz ist steigend. Religionsfreiheit ist das Recht jeder Person, ihre eigene Religion oder Weltanschauung auszuüben oder auch keine zu haben. Dieses Recht ist in vielen Ländern durch die Verfassung oder internationale Menschenrechtsabkommen geschützt. Es gibt jedoch auch Länder, in denen die Religionsfreiheit eingeschränkt ist oder unterdrückt wird. In solchen Fällen kann es zu Verfolgung, Unterdrückung und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung kommen. Ein wichtiger Aspekt der Religionsfreiheit ist die Toleranz gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen. Dies bedeutet, dass jeder das Recht hat, seine eigene Religion auszuüben, ohne dabei andere zu belästigen oder zu verletzen.

Es ist wichtig, dass die Religionsfreiheit geschützt wird, um die Vielfalt der Gesellschaft zu ermöglichen und jedem das Recht auf Selbstbestimmung und die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu gewährleisten. In einer offenen und toleranten Gesellschaft ist es wichtig, dass die Religionsfreiheit für alle respektiert und geschützt wird, unabhängig von Rasse, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder anderen Faktoren.

Prof. Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeldt, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, ist Professor für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet. Bei der Fachkonferenz „Religionsfreiheit & Populismus“ am 14. November 2022 hat er einige typische Missverständnisse widerlegt. Den folgenden Text drucken wir mit seiner freundlichen Genehmigung ab.


Vielleicht mehr als andere Menschenrechte ist das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit Missverständnissen und ideologischen Verzerrungen ausgesetzt, von denen einige sogar das Wesen der Religionsfreiheit als international anerkanntes Menschenrecht verschleiern. Die Diskussion darüber setzt Klarheit über ihre wesentlichen Merkmale voraus.

Fehlannahme: „Religionsfreiheit schützt die Religion und fördert religiöse (und nicht säkulare) Werte.“

Klarstellung: Wie bei anderen Menschenrechten steht auch bei der Religionsfreiheit der Mensch im Mittelpunkt. Sie schützt nicht die Religion an sich (z.B. die Integrität bestimmter Glaubenssysteme oder den gesellschaftlichen Status bestimmter religiöser Werte), sondern den Menschen und seine Freiheit im weiten Bereich des Glaubens, der Gewissensüberzeugungen, der religiösen Praktiken usw. Der Fokus auf den Menschen impliziert keine eng gefasste individualistische Lesart. Religionsfreiheit umfasst auch gemeinschaftliche Praktiken und die für ein nachhaltiges religiöses Gemeinschaftsleben erforderliche Infrastruktur.

Fehlannahme: „Religionsfreiheit privilegiert religiöse gegenüber nicht-religiösen Weltanschauungen.“

Klarstellung: Als Freiheitsrecht eröffnet Religionsfreiheit den Raum für sehr unterschiedliche Positionen und Ausprägungen gegenüber der Religion. Es umfasst zwar traditionelle Formen des Glaubens und der religiösen Praxis, schließt aber auch nicht-traditionelle Religiosität (z. B. religiöse Reformbewegungen) oder nicht-religiöse Ansichten (z. B. Atheismus) ein. Der Grundgedanke ist, dass alle Menschen als Träger identitätsstiftender Überzeugungen und damit einhergehender Praktiken respektiert werden sollten. Der vollständige Titel lautet „Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit“.

Fehlannahme: „Religionsfreiheit ist ein besonderes christliches Erbe und nicht auf andere Religionen, wie dem Islam, anwendbar.“

Klarstellung: Die historische Genese der Religionsfreiheit ist kompliziert und voller Spannungen, Konflikte und Paradoxien. Bis zum 20. Jahrhundert zeigten die christlichen Großkirchen eine große Zurückhaltung gegenüber den Menschenrechten im Allgemeinen und Religionsfreiheit im Besonderen, während andere christliche Bewegungen seit langem lautstark die Achtung religiöser Unterschiede und Vielfalt fordern. Auch heute noch gibt es in vielen religiösen Traditionen wie dem Hinduismus, dem Buddhismus, dem Islam und Teilen des Christentums Probleme mit der uneingeschränkten Anerkennung der Religionsfreiheit. Gleichzeitig arbeiten die Förderer der Religionsfreiheit, wenn auch mit unterschiedlichen Ergebnissen, in allen religiösen Kontexten.

Fehlannahme: „Religionsfreiheit ist von Natur aus unvereinbar mit anderen Menschenrechten, insbesondere mit geschlechtsspezifischen Rechten.“

Klarstellung: Spannungen zwischen verschiedenen menschenrechtsbasierten Anliegen können in vielerlei Hinsicht entstehen. Zum Beispiel kann die Meinungsfreiheit mit Projekten zur Bekämpfung rassistischer Hassreden in Konflikt geraten. Der Umgang mit Konflikten um Religionsfreiheit ist daher Teil einer normalen Menschenrechtspraxis. Ziel muss es immer sein, eine angemessene kontextbezogene Lösung zu finden, die allen Menschenrechtsbelangen, um die es in einem bestimmten Fall geht, so weit wie möglich gerecht wird. Es wäre falsch, kontextbezogene Konflikte (die immer auftreten können) in abstrakte Dichotomien zu verwandeln (wie es im „Kulturkampf“ geschieht).

Fehlannahme: „Religionsfreiheit ist ein traditionelles Menschenrecht, das in modernen Gesellschaften überflüssig geworden ist.“

Klarstellung: Religionsfreiheit spielt in der heutigen Welt weiterhin eine unverzichtbare Rolle. Es steht für die Einsicht, dass Menschen tiefe identitätsstiftende Überzeugungen entwickeln können, nach denen sie ihr Leben gestalten wollen. Ohne Religionsfreiheit würden die Menschenrechte der Komplexität des Menschseins nicht mehr gerecht werden.

Der Artikel als > PDF zum Download <

Weitere Hintergrundartikel zum Thema
Irak