Ein Leben für den Irak

Mohammed Tahir Al-Tamimi im Porträt

Von David Müller

Mohammed Tahir Al-Tamimi
Dr. Mohammed Tahir Al-Tamimi (links) mit David Müller, Politischer Fürsprecher für Religionsfreiheit (ojcos-stiftung)

Der 1969 in Basra als Sohn zweier Regierungsangestellter geborene Sumerer hat in seinem bewegten Leben bereits unzählige Herausforderungen gemeistert. Heute ist Dr. Mohammed Tahir Al-Tamimi Generaldirektor für Regierungskontrolle und -koordination im Büro des nationalen Sicherheitsberaters des Irak (Director General on Governmental Follow-up and Coordination, Office of the National Security Advisor). Sein Leben ist geprägt von seiner Leidenschaft für den Irak und seiner Arbeit in der Regierung. Er setzt sich dafür ein, dass der Irak zu alter Größe zurückfindet und man beim Gedanken an Bagdad wieder an die Schönheit der Stadt, den Reichtum der Kunst, der Kultur und der Gelehrigkeit denkt.

Arbeit in der Regierung

Al-Tamimi begann seine Arbeit in der Regierung im August 2003, nach dem Sturz von Saddam Hussein. Zunächst wirkte er als Berater von Dr. Aqila Al-Hashimi, einem Mitglied des 25-köpfigen Regierungsrates (Iraqi Governing Council, IGC). Der Rat selbst wurde vom Chef der Koalitions-Übergangsverwaltung für den Irak, Paul Bremer, errichtet. Al-Tamimi betrachtet die Einführung des Quotensystems, das auf der ethnischen Zugehörigkeit der Mitglieder basierte, als Fehler, der zum Niedergang des Irak führte. Die Mitglieder wurden nicht nach ihren Fähigkeiten oder ihrer Verbundenheit zum Irak ausgewählt, sondern allein nach der Quote. So musste der Rat aus 13 Schiiten, je fünf Sunniten und Kurden sowie je einem Christen und Turkmenen bestehen. Unruhen waren förmlich vorprogrammiert, und nur einen Monat nach seinem Amtsantritt fiel Dr. Hashimi einem Attentat zum Opfer. Al-Tamimi legte seinen Posten nieder.

Rückkehr in die Regierung

Aber schon kurze Zeit später bekam Al-Tamimi einen Anruf vom Generalsekretär des IGC, der ihn um die Rückkehr in die Regierung bat. Er arbeitete fortan als Generaldirektor für Bürgerschaftsangelegenheiten und später als Generaldirektor für Ausschussangelegenheiten im Generalsekretariat des Regierungsrates. Nach der Invasion durch den IS wurde ihm das Operationszentrum des Generalsekretariats des Ministerrats übergeben.

Förderung der Sicherheit

Mangels klarer Führung und Kontrolle begannen Al-Tamimi und seine Mitarbeiter mit der Feldforschung. Hilfesuchende Menschen, selbst Soldaten, hatten keinen anderen Ort, wohin sie sich wenden konnten. Es war eine arbeitsame Zeit, die dank Leidenschaft und Hingabe für die Sache bewältigt werden konnte. Zu dieser Zeit wurden auch insgesamt drei Dokumentationen mit der ARD gedreht. Heute hat Dr. Mohammed Tahir Al-Tamimi eine wichtige Rolle in der Zusammenarbeit der verschiedenen Regierungsbehörden und Sicherheitskräfte. Seine Arbeit ist von großer Bedeutung für die Sicherheit im Land und gegen die Bedrohungen durch extremistische Gruppen.

Die Bedeutung der Minderheiten

Al-Tamimi ist ein Verfechter der Stärkung der Minderheiten im Irak. Das ist auch biografisch fest verankert. Er verlebte eine glückliche Kindheit in Basra, wo Menschen unterschiedlicher Religionen und Ethnien friedlich zusammenlebten und wo er eine christliche Schule besuchte. Deshalb kennt und schätzt er die Vielfalt. Sie gilt es seiner Ansicht nach zu nutzen – für eine Verbesserung der Lebensbedingungen aller Iraker. „Es gibt viele Minderheiten im Irak, und alle haben ihre eigene Geschichte und Kultur“, sagt er und verweist auf die große Geschichte des Zweistromlandes, das seit jeher von vielen verschiedenen Völkern besiedelt war. Diese Mischung hat das Land einst groß gemacht. Zwar habe man noch ein gutes Stück des Weges vor sich, aber für ihn ist eines sicher: „Wenn wir nicht für die Rechte von Minderheiten kämpfen, dann kämpfen wir nicht für das Land als Ganzes.“

Mehr als die Bilder aus dem TV

Die jüngste Geschichte des Irak ist von Konflikten und politischer Instabilität geprägt. Für Al-Tamimi ist die Gegenwart aber nur eine Episode in der Geschichte: „Was der Irak jetzt ist, ist nur ein Bruchteil seiner Geschichte, wir leben in einem verrückten Moment. Aber der Irak ist größer als das Heute.“ Das Land sei noch lange nicht dort, wo es sein könnte und auch sein sollte, aber er und viele andere mit ihm arbeiten weiter dafür. Dennoch, die (internationale) Sicht auf das Land ist verzerrt, das übliche Narrativ über das Zweistromland negativ. Die verheerenden Dinge werden überzeichnet, die positiven Entwicklungen bestenfalls ignoriert.

Aufmerksam Hinhören

Als Leiter der Regierungskoordination setzt sich Al-Tamimi dafür ein, dass alle Stimmen gehört werden und dass jeder Teil des Landes in den Entscheidungsprozess einbezogen wird. Er sagt: „Es ist wichtig, dass wir alle zusammenarbeiten, um eine bessere Zukunft für den Irak aufzubauen. Wir müssen die Vielfalt und die verschiedenen Perspektiven, die unser Land ausmachen, anerkennen und respektieren.“

Eine strahlende Zukunft

Al-Tamimi bleibt mit Sicht auf die Zukunft des Irak optimistisch: „Wir haben viele Herausforderungen vor uns, aber ich glaube, dass wir diese gemeinsam meistern können. Wir haben eine starke und mutige Bevölkerung und wir haben die Fähigkeit, unser Land zu einem besseren Ort zu machen. Ich bin stolz darauf, ein Iraker zu sein, und ich glaube, dass unsere Zukunft hell und hoffnungsvoll ist.“ Seine Arbeit ermöglicht ihm, sich nicht nur für diese bessere Zukunft des Irak einzusetzen und die Stimmen aller Bürger zu hören, sondern sie auch aktiv mitzugestalten.

Was benötigen die Menschen im Irak?

Aus Sicht Al-Tamimis sind zwei Dinge ausschlaggebend:

  1. Die Rolle der internationalen Gemeinschaft, denn der Irak benötigt eine starke Partnerschaft mit anderen Ländern, um die Herausforderungen zu bewältigen. Sie sollte jedoch auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen basieren. „Wir brauchen die Unterstützung anderer Länder, aber wir müssen auch sicherstellen, dass unsere Souveränität und Entscheidungsfreiheit respektiert werden“, sagt er. Zudem sei
  2. eine andere Herangehensweise nötig, als die in den letzten Jahrzehnten praktizierte. Es sei sinnlos, die immer nächste Konferenz abzuhalten und dabei die immer gleichen Teilnehmer einzuladen. Die Gesellschaft bestehe eben nicht nur aus ausgewählten zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Regierungsstellen, sondern auch aus Menschen in Geschäften, in Schulen, in Bussen. Sie, ihre Nöte und Wünsche, sollten vermehrt gehört werden und in Entscheidungen einfließen.

Glaubt man der westlichen Medienberichterstattung, so benötigen die Menschen des Irak am dringendsten: Frieden. Dafür setzen sich auch zahlreiche Organisationen im Land ein. Doch Al-Tamini hält dem Interessantes entgegen: „Es gibt viele, teils lustige Experimente friedensstiftender Organisationen. Aber sie schaffen hier keinen Frieden. Warum? Weil er schon da ist.“ Natürlich gebe es einzelne oder kleinere Gruppen, die stets nach Unterschieden statt nach Gemeinsamkeiten suchen und diese mit Gewalt ausgleichen wollen. Aber insgesamt hat sich die Situation merklich beruhigt, was auch daran abzulesen ist, dass in letzter Zeit vermehrt Menschen – meist älter als 35 Jahre – aus dem Exil zurückkehren und sich im Irak niederlassen wollen. Ein gutes Zeichen, dass der Irak (endlich) auf dem richtigen Weg ist.

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